Freimütige Debatte mit einem Hauch Berliner Frühling

„Springer aktuell“, Extrablatt zur ersten Hauptversammlung der Axel Springer AG nach Börsengang 1985 vom 12. Februar 1986

„Der Kurszettel ist mit der Springer-Aktie um ein interessantes Papier bereichert worden“, sagte Walter Martius (Vorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre), erster Redner auf der ersten Hauptversammlung der Axel Springer Verlag AG. Er lieferte den Auftakt für ein geschäftsmäßig-lebhaftes Frage- und Antwortspiel zwischen Aktionären und dem Vorstandsvorsitzenden.

Im Zentrum der Aktionärsneugier standen zwei Komplexe: Die künftigen Ertragserwartungen des Unternehmens sowie eine langfristige Marktstrategie. Gegenüber dem Vertreter der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, Rechtsanwalt Schreib, bekräftigte Peter Tamm, daß die angekündigten sechs Mark Dividende für das zweite Halbjahr 1985 ertragsorientiert, aber keineswegs festgeschrieben sind. Ein Phantasieanreger für manche Aktionäre…

Die Debatte – nicht selten mit „Börsenlatein“ gewürzt – verlief ohne Schärfe und Polemik. Kommentierte ein zugereister Bankier: „Die Fragen wurden schnell und präzise beantwortet.“ Obgleich eine Premiere, meinten die Aktionäre, sich auf einer alltäglichen Hauptversammlung zu befinden. Saal 2 des ICC verbreitete trotz frühlingshafter Blumengebinde, trotz Gerbera und Forsythien, routinierte Geschäftsmäßigkeit.

Ist der Verlag für das Zeitalter der elektronischen Medien gerüstet? In mehreren Variationen stellten Aktionäre diese Frage. Beim privaten Fernsehen werden sich mittelfristig nur zwei Programme durchsetzen. Und Springer sei dabei, versicherte Tamm. Bei Btx habe man das Engagement reduziert, bleibe aber nach wie vor der größte Anbieter. Videotext und Pay-TV würden dagegen kräftig ausgebaut, bei Pay-TV sei das Unternehmen sogar der einzige Anbieter. Aktionärsvertreter Martius sprach offenbar vielen HV-Teilnehmern aus dem Herzen, als er unter Beifall rief: „Die öffentlichen Medienmonopole müssen weg!“

Aber bei aller Phantasie für die elektronischen Medien bleibe für das Haus Springer das gedruckte Wort Herzstück der Arbeit. So empfanden es auch die Aktionäre, die mit Komplimenten nicht sparten und mit Wohlgefallen auf das jüngste Kind des Hauses – „Auto-BILD“ – blickten.

Gibt das Unternehmen irgendwann einmal Belegschaftsaktien aus? Auf diese Frage von Aktionär Carl Doering entgegnete Tamm: „Wir befürchten Konflikte, wenn Eigentümer- und Arbeitnehmerinteressen nicht auseinandergehalten werden. Unsere Philosophie: Beste Bezahlung und beste soziale Leistung.“

P.S.: Dies ist der letzte Nachschub des „Extrablatt“, das an die Aktionäre noch während der HV verteilt wurde. Ende der HV: 14.14 Uhr, Schubende: 15.04 Uhr

Der erste HV-Besucher: Jungunternehmer mit Idee

Ruth und Alfred Fiedler, Rentner aus Berlin, kauften ihre 100 Springeraktien als Wertanlage. Lieblingszeitschrift: FUNKUHR.

Als erster Besucher im Saal: Eberhard-Rainer Luckey, Vorstandssprecher der Vereins- und Westbank im Gespräch mit Peter Tamm.

Erstmals im Leben auf einer HV: Gertrud Groß (84) aus Berlin: Warum 100 Aktien? „Um sie zu vererben!“