Das Bild eines Werdohler Originals

Wer war „der alte W.C.?“ Mit dieser humorvollen Abkürzung bezeichneten die Werdohler den Kaufmann Wilhelm Caspar Rentrop, der in dem kleinen Städtchen an der Lenne ein ehrsames Kolonialwarengeschäft betrieb. War es eine Vorahnung kommender Zeiten, da man sich an so geschmackvollen Namen wie Pebeko, Gesolei, Hapag, Emelka, Mulag, Arbed, Avi und ähnlichem erfreut?

Wilhelm Caspar Rentrop hatte am 5. September 1820 auf dem oberen Gute Rentrop bei Werdohl das Licht der Welt erblickt. Sein Vater war Caspar Wilhelm Rentrop, der Besitzer des oberen Gutes Rentrop, geboren m 21. Februar 1793, gest. am 31. März 1822, die Mutter Anna Catharina vom Holle. Der Großvater hieß Caspar Eberhard Rentrop; er war am 26. März 1760 zu Rentrop geboren und besaß das „Obere Gut“. Der Urgroßvater war der Steuerreceptor Caspar Jakob Rentrop, geb. im November 1716, gestorben am 4. Juni 1762, seit dem 7. Februar 1737 mit Anna Maria Elisabeth Spannagel verheiratet. Caspar Jakob aber war der älteste Sohn des Gutsbesitzers und Eisenindustriellen Caspar Adrian Rentrop zu Rentrop, der etwa im Juni 1689 geboren war und am 20. Mai 1754 starb.

Caspar W i l h e l m Rentrop, also der Vater des „alten W.C.“, wird uns geschildert als ein „gescheiter Kerl“, der gern studiert hätte, aber Landwirt werden und das Gut übernehmen mußte. Daß er Sinn für Musik gehabt hat, bewies seine Virtuosität als Flötenbläser. Leider starb er schon 1822 nach 1 1/2jähriger Ehe, 27 Jahre alt, an Tuberkulose, zu der vielleicht der Feldzug den Grund gelegt hatte.

Wilhelm Caspar war sein einziges Kind. Da die Mutter, Anna Catharina geb. vom Holle, 1823 wieder heiratete, und zwar den Landwirt Johann Peter Caspar Spannagel von Eickenhohl, so ging das obere Gut Rentrop auf diese Familie über. Er besuchte die Volksschule in Werdohl unter dem vortrefflichen Lehrer Lunke, der auch sämtliche Kinder von Wilhelm Caspar noch unterrichtete. Nach dem Besuche der Volksschule beabsichtigte Wilhelm Caspar zunächst Lehrer zu werden, gab diesen Plan aber bald auf, um sich dem Kaufmannsberufe zu widmen. In einem Kolonialwarengeschäft in Mülheim am Rhein erledigte er seine Lehrzeit und wurde später Reisender für die Firma Rüggeberg und Potthoff in Schwelm. Seine Reisen machte er, wie er selbst lachend erzählte, hoch zu Roß. Dann gründete er sich in Werdohl ein Kolonialwarengeschäft.

Bei dem Betrieb desselben ging es noch recht patriarchalisch zu. Wenn Rentrop sich im Keller aufhielt, um ein Faß Essig oder Oel abzuzapfen, mußten seine Kunden vor der verschlossenen Ladentüre warten, und wenn sie ungeduldig an der Tür rappelten, dann donnerte er von unten herauf: „Geduld! Geduld! Könnt iet nicht wachten?“ Das wurde ihm aber nicht übel genommen, denn man kannte ihn und schätzte seine Redlichkeit; man wartete eben, bis er kam.

In seinem Geschäftsgebahren war er peinlich rechtlich und von allergrößter Genauigkeit. Von dem Grundsatze ausgehend: „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist das Talers nicht wert“, schrieb er jeden zu viel oder zu wenig erhaltenen Pfennig genau auf seiner Tafel auf und vergaß niemals die Sache zu regeln, wenn die Kunden wiederkamen.

Von Haus aus war er sehr kirchlich gesinnt und gehörte auch zum Kirchenvorstande. Er pflegte seine Meinung unumwunden herauszusagen. Als ihm bei einer solchen Gelegenheit Pfarrer Daniel spöttisch antwortete, trat er aus dem Kirchenvorstande aus und besuchte von da ab auch die Kirche nicht mehr, was sicherlich über das Ziel hinausgeschossen war. Aber das Vorlesen aus einem Erbauungsbuche vor dem Morgenkaffee war Haussitte und blieb es, bis die Kinder erwachsen waren.

Wilhelm Caspar Rentrop verheiratete sich 1847 in Lüdenscheid mit Anna Maria Spannagel, einer Tochter der Eheleute Johann Peter Spannagel und Anna Maria geb. Geck zu Brunscheid. Der Ehe entsprossen 8 Kinder, darunter die Söhne Bernhard, zunächst Oberingenieur in Dortmund, dann bei Basse und Selve auf dem Schwarzenstein bei Altena, wie es heißt, der tüchtigste der Söhne; Gustav Hermann, der eine Kaffeegroßrösterei in Köln gründete, und Professor Friedrich August Rentrop, Oberlehrer bzw. Studienrat in Rheydt, der jetzt dort im Ruhestand lebt. Bei der Geburt ihres jüngsten Kindes Richard wurde die Mutter Anna Maria geb. Spannagel, schwermütig; sie starb am 11. August 1884 an Tuberkulose. Richard wurde Bankbeamter und später angestellt in dem Bankhaus A. Levy in Köln, dessen Inhaber der bekannte Geheime Kommerzienrat Louis Hagen war.

Trotz seiner früheren Tätigkeit als Reisender oder vielleicht gerade deswegen lockte das Reisen unseren Wilhelm Caspar durchaus nicht, und es war schon ein ausreichend gewürdigtes Familienereignis, als er sich einmal entschloß, mit seinem Sohne August nach Köln zu reisen, um seines Sohnes Hermann dort gegründete Kaffeegroßhandlung zu besichtigen.

Daß man den redlichen Mann allgemein schätzte, beweist die Tatsache, daß ihm das Amt des Dorfvorstehers von Werdohl, das zum Amte Neuenrade gehörte, übertragen wurde.

Tagsüber war Wilhelm Caspar natürlich ununterbrochen tätig; in den späteren Jahren gönnte er sich allerdings ein Mittagsschläfchen. Abends rauchte er hinter dem Ofen seine Pfeife und erzählte von vergangenen Zeiten. Ihm war es eine unumstößliche Wahrheit, daß es früher doch viel besser gewesen und viel einfacher zugegangen sei. Mit letzterer Behauptung hatte er ja unzweifelhaft recht. Was würde der gute „alte W.C.“ wohl gesagt haben, wenn er die Zeit der Autos, des Radios, der Bubiköpfe und der kurzen Kleider oder des Knickerbockers noch erlebt hätte.

Der älteste Sohn Bernhard machte den Krieg 1870/71 von Anfang bis Ende mit. Als der Krieg beendet war und die Soldaten heimkehrten, saß der alte W.C. eines Tages auf seiner grünen Bank vor der Haustür. Da kam ein Nachbarsjunge, Otto Böing, herbeigestürzt mit der Botschaft: „Inke Bennad es op dem Bahnhuave“. Kurze Zeit darauf kam ein gebräunter junger Soldat auf den Alten zu mit den Worten: „Gun Tag, Vater; do sinn iek wier“.

Jahrelang war W.C. Rentrop der einzige Kaufmann in Werdohl, der am Sonntagnachmittag sein Geschäft schloß, da er doch einen halben Tag in der Woche Ruhe haben wollte.

Er liebte es, Betrachtungen über das Leben anzustellen und sie in kurzen Sprüchen seiner Umgebung gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Etliche seiner Lieblingssprüche seien hier aufgezählt: „Das Alte stürzt, es ändern sich die Zeiten, und neues Leben blüht aus den Ruinen“. „Kommt Zeit, kommt Rat“. „Alles schon dagewesen sagte Salomo“ (Man wird diesen angeblichen Ausspruch Salomos freilich vergeblich in der Bibel suchen.) „Wer weiß, wo’s gut für ist“.“De Jorlsack (Geldsack) und de Biarlsack (Bettelsack) hanget mit 100 Jahr füar einer Düar (Tür).“ „Junges Blut, spar dein Gut; Armut im Alter wehe tut“. „Später wirds schöner“. Seine Tochter Emma fragte einmal: „Wann es datt später?“ „Wachet dat aff“, war des Alten Antwort. „Zeiten und Menschen ändern sich“. „Das Leben ist schön, aber kostspielig.“ „Bücher geben keine Handgriffe“. „Me matt de Jungens üm de Pöste jagen“(d.h.: junge Leute müssen tüchtig zur Arbeit herangezogen werden). Wenn seine Kinder sich wohl einmal zankten, dann sagte er: „Ich will euch so weit auseinander treiben, daß ihr euch später gern wiedersehen wollt“, ein Wort, das sein Recht behalten hat.

Wir sehen, der alte W.C. war in seiner Art Philosoph, der nicht gedankenlos durch das Leben ging, sondern sich über alles und jedes seine eigenen Gedanken machte. In der Tat ein Original, sicherlich kein Dutzendmensch. Ihm, dem einfachen, redlichen und tatkräftigen Mann sollte mit diesen Zeilen ein bescheidener Gedenkstein gesetzt werden, der vielleicht manchen, die ihn noch gekannt haben, ein heiter-wehmütiges Lächeln der Jugenderinnerungen auf die sorgenvollen Züge zaubern wird.

W.C. Rentrop starb am 10. Juli 1898 zu Werdohl an einem Bruchleiden.

(1576 – Wappen Familie Rentrop)